Artikel I
Über die Herstellung von Birkenrindenkanus
von J. Gottfred
Den Sommer 1995 über hatte ich die Möglichkeit, mehrere Tage
im Kanuschuppen von Old Fort William in Thunder Bay in Ontario zu verbringen.
Während dieser Zeit beobachtete ich alle Gesichtspunkte des Baues
eines Nordkanus, wo nur historische Methoden, Materialien und Werkzeuge
verwendet wurden. Birkenrindenkanus werden in einer ganz anderen Art als
normale Boote gebaut. Bei einem typischen Schiff, z.B. einem Yorkboot,
werden Kiel und Spanten zuerst gebaut und dann die Hülle des Schiffes
darüber angebracht. Beim Bau eines Birkenrindenkanus wird die Hülle
an die Süllränder genäht, dann die Spanten eingefügt,
die die Birkenrinde nach außen spannen und die endgültige Form
ausbilden.
In diesem Artikel werde ich alle Gesichtspunkte bezüglich der Konstruktion
eines Birkenrindenkanus betrachten, eine Aufgabe, für die die Kanubauer
in Old Fort William nur sieben Tage brauchten, vom Schälen der Rinde
bis zum Stapellauf.
Vorbereitungen für die Konstruktion
Kanus werden nicht nach Augenmaß gemacht, stattdessen wird die Konstruktion
durch zwei Schablonen kontrolliert. Die erste Schablone zeigt die Form,
die durch die Süllränder gebildet wird. Die zweite Schablone
zeigt die Länge des mittleren und größten Spants. Der
Kniff beim Kanubau ist es, die richtigen Abmessungen für diese Schablonen
zu bekommen. Wenn du ein Kanu selber bauen willst, müßtest
du mehrere Modelle bauen, um die Dimensionen dieser Komponenten zu bestimmen
.
Materialien
Wenn du die Schablonen hast, bist du soweit, die Materialien zu sammeln.
Die Basismaterialien für solche Kanus sind Birkenrinde für die
Außenhülle, weiße Zeder für die Süllränder
und Spanten, Watap (Fichtenwurzeln) zum Nähen des Kanus und eine
Fichtenharzmasse für das Abdichten. Jedes Material wird beschrieben,
wenn es beim Bauabschnitt auftaucht.
Birkenrinde
Die Hülle des Kanus wird aus der Rinde oder Borke der Birke gemacht.
Die Rinde einer Birke besteht aus zwei verschiedenen Schichten, der äußeren
und der inneren Rinde. Die Oberfläche der Außenrinde ist weiß
und papierartig, aber der größte Teil ihrer Dicke ist ein oranges
festes lederartiges Material, gezeichnet mit flachen horizontalen Furchen.
Die Innenrinde hat eine mehr gelbliche Farbe. Sie ist schwammig und bricht
leicht in kleine Stücke. Die Innenrinde ist die lebende Schicht des
Baumes. Hinter dieser Lebensschicht kommt das harte Kernholz der Birke.
Kanubett Ein im Bau befindliches Kanu in Old Fort William.
Die Süllrandschablone wird durch den senkrechten Pfosten fest am
Boden gehalten. Die Birkenrinde wurde eng um sie hochgebogen und zwischen
den Süllrändern festgeklemmt, welche dann mit Watap verbunden
werden. Die Spanten werden eingefügt werden, sobald die Schablone
aus dem Bootskörper entfernt worden ist. Beachte, daß die silbern
weiße Außenrinde auf der Innenseite des Kanus ist.
Ziel beim Ernten der Birkenrinde ist es, nur die Außenrinde zu entfernen
und die Innenrinde intakt zu lassen. Dies kann nur während der heißen
Monate des Sommers gemacht werden und wird am besten in der Hitze des
Juli erreicht. Die Rinde wird abgezogen, indem ein senkrechter Schlitz
über die Länge des Baumes nach unten gemacht wird, dabei die
Außenrinde wegehebelt und dann horizontal um den Baum herum nur
die Außenrinde weggeschnitten wird. Die Außenrinde kann dann
in großen zusammenhängenden Längen vom Baum geschält
werden, ideal für den Bau von Kanus. Solange der Baum nicht geringeltxxx
und die Lebenschicht nicht beschädigt ist, wird der Baum überleben.
Er bildet bald ein narbenähnliches Gewebe an der Außenseite
und mag fortfahren zu gedeihen, aber er kann niemals mehr geerntet werden.
Ich habe Birkenrindenstreifen gesehen mit 1,2 m Breite und 5,5 m Länge,
die auf diese Weise von Bäumen entfernt wurden. Bäumen, die
Jahre vorher in gleicher Art behandelt wurden, geht es immer noch gut.
David Thompson sagt, daß Streifen mit 2 bis 2,5 Fuß ( 60-
75cm) Breite und 9 bis 15 Fuß (2,7-4,5m) Länge typisch gewesen
seien in seinen Tagen (Thompson, Narrative, 97).
Birkenrinde Diese Rolle Birkenrinde ist 1,2m breit und 3,6m
lang. Eines der Stücke im Hintergrund ist 5,5m lang.
Andrew Graham (ca.1772) von der HBC beobachtete, daß
"[die Indianer] beachten, daß die Rinde auf einer Seite des
Baumes dicker als auf der anderen ist und machen den Schnitt auf der dünnsten
Seite und reservieren so den festesten Teil für den Boden des Kanus,
wo es am meisten erwünscht ist." (Thompson, Columbia, 203)
Wenn die Rinde einmal vom Baum entfernt ist, muß sie mit der weißen
Seite nach innen gerollt werden und sie muß von oben nach unten
gerollt werden, gegen die natürliche Windung der Rinde. Kurz, rolle
sie komplett entgegengesetzt ihrer natürlichen Wicklung(sneigung).
Falls ihr erlaubt wird, sich natürlich zu wickeln, wird die Innenfläche
brechen und die Rinde wird unbrauchbar. Sie wird verkleben und du wirst
sie nicht mehr entrollen können. Für den Kanubau darf die Außenrinde
nicht dünner als 1/5" (5mm) sein. Dünnere Rinde kann für
Körbe oder ähnliche Gegenstände verwendet werden, aber
Kanus brauchen festeres Material.
Die gesammelte Rinde ist weich und geschmeidig, sehr ähnlich einem
festen Leder. In Längsrichtung (rechtwinklig zu den Rillen in der
Rinde) ist die Rinde kaum zu zerreißen. In Parallelrichtung zu den
Rillen jedoch (über die Breite) ist die Rinde leichter zu reißen.
Die gesammelte Rinde wird bis zu einer Woche weich und leicht bearbeitbar
bleiben, abhängig von der Temperatur und Feuchtigkeit.
Watap
Watap ist die Wurzel der Fichte. Um Watap zu sammeln, mußt du eine
sumpfige oder sandige Stelle finden, wo die Wurzeln der Bäume in
langen geraden Richtungen wachsen können. In steinigem Grund biegen
sich die Wurzeln um Steine herum und sind daher zu gekrümmt, um brauchbar
zu sein. Unter richtigen Umständen können große Längen
leicht aus dem Boden gezogen werden. Watap muß vor dem Gebrauch
entrindet werden. Dies wird erreicht, indem es in Wasser eingeweicht und
durch ein Brett mit einem Einschnitt gezogen wird. Watap ist überraschend
fest und wird üblicherweise vor Gebrauch in zwei Hälften gespalten,
um es weicher zu machen.
Watap-Entrindungsvorrichtung Meterweise Fichtenwurzeln werden
einfach durch ein eingeschnittenes Brett gezogen, um ihre Rinde zu entfernen.
Kanubett Die Nahaufnahme zeigt die zwischen zwei Weißzeder-Leisten,
welche den Süllrand bilden, vernähte Birkenrinde.
Vernähen der Rinde mit dem Süllrand
Der Bau des Kanus beginnt mit dem Formen des "Kanubetts". Die
Rinde wird mit der Süllrandschablone oben drauf ausgelegt. Die Rinde
wird dann um die Schablone herum nach oben zum Süllrand umgebogen
und in einiger Entfernung oberhalb des Bodens festgeklemmt, wie von der
Schablone vorgegeben. Falls die Birkenrinde nicht breit genug ist, müssen
zusätzliche Streifen an ihr entlang genäht werden, um die richtige
Breite zu erreichen. Falls die Rinde nicht lang genug ist, werden extra
Stücke überlappt, um den Unterschied auszugleichen. Diese Verbindungsstellen
erfordern kein Nähen wegen des Druckes durch die Spanten. Beachte,
daß die weiße Außenseite der Rinde zur Inneseite des
Kanus zeigt. Der Süllrand wird durch zwei Leisten aus Weißzeder
geformt, zwischen denen die Rinde eingeklemmt und vernäht ist. Querleisten
werden angebracht, um die Süllränder auseinander zu halten.
An diesem Punkt der Herstellung hat des Kanu ein rechteckiges Profil,
das heißt, flache Seiten und flachen Boden. Ist die Hülle erst
einmal mit dem Süllrand vernäht, wird die Schablone entfernt
und die Spanten werden eingesetzt, um die klassische Rundbodenform des
Kanus zu erzeugen.
Mit Watap vernähter Süllrand Dieser Ausschnitt
zeigt die Hülle des Kanus, vernäht mit dem Süllrand. Beachte
den zusätzlichen Verstärkungsstreifen mit dekorativem Bogenmuster.
Die Vernähung im unteren Teil des Bildes zeigt die Naht, genäht
mit Watap zwischen zwei Längsstreifen Rinde.
Wo die Rinde auf den Süllrand trifft, wirkt die Kraft der Vernähung
parallel zu den Rillen in der Rinde, deshalb muß dieser Rand mit
einem Rindenstreifen mit zum Süllrand parallelen Rillen verstärkt
werden, durch den die Naht geht. Die Naht wird mit Watap gemacht. Dieses
Verstärkungsstück aus Rinde wird üblicherweise in ein dekoratives
Muster geschnitten und wird auf die Außenseite der Kanuhülle
gesetzt. Acht Wicklungen werden mit dem Watap um den Süllrand und
durch die Rinde gemacht, und dann eine Lücke gelassen, um Raum zu
lassen für den Spant, der später eingefügt wird. Die Bilder
zeigen die Kanuhülle, befestigt am Süllrand. Beachte den Gebrauch
der Süllrandschablone am Bootsboden.
Die Spanten (Rippen)
Die Spanten werden aus Weißzederbrettern gebildet, welche vom Stamm
gespalten wurden. DU kannst keine gesägten Bretter nehmen, weil sich
die Zeder nicht richtig biegen läßt, wenn sie nicht der Faser
folgt. ( Im Westen wurde schwerere Kiefer für die Süllränder
und Spanten benutzt, wo Zeder nicht verfügbar war. (Tyrell, 452-453,
Thompson, Narrative, 59, Henry 467)) Es gibt einen einfachen Trick, Bretter
gleichmäßiger Dicke zu bekommen: wenn dein Brett beim Spalten
zu dünn zu werden beginnt, gib mehr Kraft auf den dickeren Teil,
um den Spalt zurück ins dickere Material zu lenken. Die gespaltenen
Zederbretter werden nun auf eine Werkbank gelegt und mit dem Ziehmesser
dünner und eben gemacht. Jedes Brett sollte etwa 4'' (10cm) breit
und 3/8'' (1cm) dick sein - experimentiere eben ein bißchen mit
dem einzelnen Material, um die richtige Dicke zu bestimmen. Die Länge
des ersten Brettes wird durch die Spantenschablone festgelegt.
Die Bretter werden nun für mehrere Stunden in einen Steamer (Dämpfer,
Dampferzeuger) gelegt, bis sie weich genug zum Biegen sind. Der längste
Spant wird nun in Form gebogen und die Enden in Form eines Steigbügels
zusammengebunden. (Siehe Abbildung)
Spanten-Dämpfer Eine große übers Feuer gehängte
Eisenkiste wird benutzt, um die Spanten zu dämpfen, damit sie in
die richtige Form gebogen werden können.
Kanu-Spanten Die Spanten sind gebogen und ineinandergesteckt,
um eine natürliche Verjüngung zu bilden. In dieser Spannvorrichtung
sind bereits zwei Spanten.
Die verbleibenden Bretter werden gebogen und in die erste gesteckt, Dieser
pfiffige Trick ergibt eine Reihe Spanten, welche die klassische zulaufende
Kanuform ergibt. Beachte, daß zwei Sätze solcher Spanten benötigt
werden - ein Satz für die Mitte bis zum Bug und ein zweiter für
die Mitte bis zum Heck.
Wenn die Spanten getrocknet sind, werden sie genommenn und ihre Enden
zulaufend und passend gemacht, so daß sie zwischen die Süllrandleisten
zwischen den Watapbindungen passen. Sind die Spanten dann an Ort und Stelle,
ist das Kanu fertig zum Abdichten.
Beachte, daß da, wo Birkenrindenstücke vom Bug zum Heck überlappen,
diese nicht genäht werden. Die Birkenrindenstücke werden nur
vernäht, wenn sie der Länge des Kanus nach überlappen.
Herstellung des Pechs Im Uhrzeigersinn von oben: Kiste mit
Fichtenharz, Watapstreifen, Bratpfanne mit Pech, Kombination Topfhalter
und Harzreinigungssack, Talg.
Das Pech vorbereiten
Es sind drei Bestandteile in der Pechmasse: Fichtenharz, Talg und Holzkohle.
Um Fichtenharz zu sammeln, must du ein Beil nehmen und viele Einschnitte
in die Oberfläche mehrerer Dutzend Fichten während der warmen
Jahreszeit machen. Kehre nach zwei bis drei Wochen mit einem Beutel zurück,
und lese all die daumennagelgroßen Saftklumpen zusammen, die aus
den Wunden ausgesickert sind. Gib den Fichtensaft in einen Canvasbeutel
und verschließe den Beutel gut. Wirf den Beutel in kräftig
kochendes Wasser und knete den Beutel mit einem Stock, um das heiße
Harz durch das Gewebe herauszuquetschen. Gib acht, daß das Wasser
kräftig kocht. Das gereinigte Harz wird an die Oberfläche schwimmen
und die wirbelnde Wirkung des kochenden Wassers wird es auf natürliche
Weise zu Kugeln formen. Dies wird all die Stückchen Rinde und Käfer
entfernen, die am Saft klebten. Das fertige Produkt, einmal abgekühlt,
ist eine gelbliche kristallinische Substanz mit einer weißen Mattierung.
Gepichte Kanus Diese beiden Kanus wurden ordentlich gepicht
und sind bereit fürs Wasser. Das obere Kanu ist ein ausgewachsenes
36' (11m) Montrealkanu mit 6000Pfund Zuladung (Paddler nicht eingeschlossen).
Lediglich vier Mann sind erforderlich, um das leere Kanu zu tragen.
Für sich allein ist dieses Harz viel zu spröde, um es zum Abdichten
eines Kanus zu verwenden. Um das Pech herzustellen, gib das Harz in eine
Bratpfanne und füge Talg (Nierenfett) und pulverisierte Holzkohle
hinzu. Rühre und schmelze, bis das Pech eine schwarze, leicht verarbeitbare
Masse ist. Die richtige Mischung festzulegen ist eine Sache von Versuch
und Irrtum. Das fertige Produkt ist plastisch und schwach klebrig, wenn
es mit den Fingern erwärmt wird. Abgekühlt wird es hart und
auch ein bißchen spröde. Das heiße Pech wird reichlich
bei allen Birkenrindennähten auf der Außenseite des Kanus aufgebracht.
Es funktioniert, aber es ist ein elendes Zeug und man kann leicht beobachten,
wie sich das Kanu in rauhem Wasser genug krümmt und biegt, um große
Brocken abplatzen zu lassen. Meiner Überzeugung nach besteht kein
Zweifel, daß das Abdichten des Kanus eine tägliche, wenn nicht
sogar stündliche Mühe gewesen war.
In nur sieben Tagen, bauten drei Leute, die ihre Zeit zwischen Kanubau
und dem Beantworten der Fragen wißbegieriger Besucher aufteilten,
ein 25' (7,6 m) Kanu, geeignet, 3000 Pfund Ware zu transportieren, das
von nur zwei Leuten getragen werden kann.
Old Fort William verkauft jeden Überschuß fertigestellter
Kanus an historische Stätten und Museen auf der ganzen Welt.
Um die Kanubauer in Aktion zu sehen, besuche Old Fort William während
dem Great Rendezvous, welches an dem Ort jeden Sommer veranstaltet wird.
(Behalte kommende Veranstaltungen für weitere Informationen im Auge.)
Nordkanu Das fertige Kanu ist bereit, beladen zu werden.
Der Bug wurde mit den Lettern NWC im weißen Kreis verziert.
Quellenangaben
Henry, Alexander (the Younger). New Light on the Early History of the
Northwest : The Manuscript Journals of Alexander Henry... Elliot Coues
(ed.) Reprint-Ross & Haines : Minneapolis, 1965. Originally published
1897.
Thompson, David. David Thompson's Narrative, 1784-1812. Glover, Richard
(ed.) Champlain Society : Toronto, 1962.
Thompson, David. Columbia Journals. Barbara Belyea (ed.) McGill-Queen's
: Montreal, 1994.
Tyrrell, J. B. (ed.) Journals of Samuel Hearne and Philip Turnor. Reprint
: Greenwood Press : New York, 1968. Originally published 1934.
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